Über das Geheimnis des Herzens und die Erinnerung an die Seelenheimat
Diese Geschichte über den Seelengarten nimmt dich mit – an einen Ort in dir, der deine längst vergessene, aber niemals verlorene Seelenheimat ist. Sie verrät dir, warum Kinder die Blumen des Lebens sind, und führt dich dorthin, wo ein Geheimnis auf dich wartet: eines, das sich danach sehnt, von dir entdeckt zu werden.
„Wo ist meine Seelenheimat – und wohin geht die Seele, wenn ihr irdischer Weg zu Ende ist?“
Wie eine rätselhafte Botschaft, auf das weiße Blatt des Tages mit einer blassen Tinte gekritzelt, tauchte diese Frage in meinem Kopf auf. So blieb ich, mitten im launischen, verschneiten April, vor einem Blumenladen stehen: Die frischen Blütenknospen von Pfingstrosen im Schaufenster zogen meinen Blick magnetisch auf sich. Als hätten diese mit kleinen Wasserperlen bedeckten, zartrosa Geschöpfe nach mir gerufen. Um mir etwas anzuvertrauen. Etwas, was ich mal wusste und vergaß. Etwas, was ich tief in mir all die Jahre wie ein kostbares Geheimnis hütete.
Nun erinnerte ich mich daran: Es war eine Geschichte aus meinen Kindertagen. Und doch war es mehr als ‚nur‘ eine Geschichte. Es war das herzerwärmende Heimatgefühl, das mit dieser Erinnerung in meiner Seele erwachte.
Blitzschnell tauchte jedes noch so kleine Detail des damals Erlebten wieder auf. Leuchtende Fragmente fügten sich zu lebendigen Bildern zusammen: bunt und duftend wie eine Blumenwiese in der goldenen Sonne des Hochsommers. Ich meinte sogar, die weiche Stimme meiner Großmutter immer noch in meinen Ohren zu hören. Vielleicht war es aber auch mein Herz, in dem diese Geschichte gerade erklang, um ihre Reise in die Welt anzutreten …
Prolog
Diese Geschichte über den himmlischen Seelengarten erzählte mir meine Großmutter, als ich etwa vier oder fünf Jahre alt war.
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An einem kalten Wintertag kuschelte ich mich auf Omas Schoß ein und legte verträumt meinen Kopf an ihrer weichen Brust ab. Der rhythmische Takt ihres Herzens, das Knistern des Holzes im Ofen und das gleichmäßige Klacken ihrer Stricknadeln wirkten beruhigend. Die flauschige Wolle ihres Strickwerks streichelte zuerst meine Wangen warm. Nach einer kurzen Zeit umhüllte mich die wohlige Wärme gänzlich.
Ich schloss vergnügt meine Augen: In diesem Moment gab es keinen anderen Ort, an dem ich mich so geborgen und aufgehoben fühlen könnte. Mit einem zufriedenen Seufzer rollte ich mich zusammen und war bereit, das Reich der Träume zu betreten – als Omas flüsternde Stimme mein Ohr erreichte: eines, das nicht an ihrem Brustkorb ‚klebte‘, um dem sanften Tanz ihres Herzens zu lauschen.
„Es gibt noch einen Ort, an dem du dich immer geborgen und heimelig fühlen kannst. Und gewärmt, ganz egal, welche kalten Stürme draußen toben“, sagte sie und strickte schweigend weiter. ‚Woher weiß sie, was ich gerade fühle?‘, dachte ich, während ich merkte, wie der Schlummerschlaf aus meinem Gesicht wich. Meine Neugier war geweckt – und mit ihr war auch ich hellwach.
„Wo ist denn dieser Ort, Oma?“
„Es ist dein Herz. Wenn du dich ihm zuwendest, empfängt es dich jederzeit – und offenbart dir sogar sein größtes Geheimnis.“
Mein Kopf pochte vor lauter Fragen, sodass ans Schlafen nicht mehr zu denken war. Entschlossen, das Geheimnis des Herzens der Großmutter heute noch zu entlocken, starrte ich sie fragend an. Dabei machte ich sogar das zweite Ohr frei, um kein Detail zu überhören.
Oma erkannte das große Fragezeichen in meinen Augen sofort und schmunzelte: Sie wusste um meine unbändige Neugierde und meine Ungeduld. Dann legte sie ihr Strickzeug beiseite, um mir diese Geschichte über den Seelengarten zu erzählen. Und über die Seelenblume, die jedem Herzen von Geburt an und bis zu seinem letzten Schlag innewohnt.
Geburtsstunde des Seelengartens – der blühenden Heimat der Seele
„An einem verschneiten Wintertag hatte der Schöpfer, der bereits die Erde mit ihrer prachtvollen Natur und den Himmel mit seinen funkelnden Sternen erschaffen hatte, eine brillante Idee. Um auf das weiße Blatt der Wintertage etwas Farbe zu zaubern, legte er einen Blumengarten an – irgendwo zwischen Himmel und Erde. Heute ist dieser fröhlich-bunte, honigsüß duftende und wohlklingende Ort unter dem Namen ‚Wolke sieben‘ oder ‚Paradies‘ bekannt. Doch damals nannte er ihn einfach nur: ‚Seelengarten‘. Sich selbst ernannte der Schöpfer zum Seelengärtner.
Die Saat für seinen Blumengarten sammelte er in unterschiedlichsten Ecken des Planeten Erde – und manchmal auch auf anderen Planeten des Universums. Die Samen glichen sich in nichts, doch waren sie alle gleich wertvoll für den Schöpfer: ob als ein liebliches Gänseblümchen, eine anmutige Rose oder eine exotische Orchidee. So ließ er jedem einzelnen Samenkorn gleich viel Liebe angedeihen und pflegte sie alle, als wären sie seine Kinder. Irgendwie waren sie es auch. Denn auch ihre Blumeneltern hatte er einst als Teil seines Selbst erschaffen: Sie entsprangen der sprudelnden Quelle seines glühenden Herzens, dessen liebevolle Energie sie in sich aufnahmen.
Auf Wolke sieben herrschte das beste Wetter zum Keimen – sonnig, luftig und herzenswarm –, sodass sehr bald die ersten himmlischen Blumen hervorsprossen. Nach und nach verwandelten sie mit ihren bunten Blüten die schneeweiße Wolke sieben in einen zauberhaften Garten. Dieser war unnachahmlich schön: Alles hier war voller lebendiger Energie, die pulsierte und leuchtete.
Die Blumen waren ihrem Schöpfer für seine Liebe so dankbar, dass sie sogar mitten in der kalten Jahreszeit blühen und gedeihen konnten. Sie erfreuten das Herz des Schöpfers sehr und beflügelten ihn zu einer neuen Kreation. Nun wünschte er sich sehnlichst etwas Größeres – etwas, was ihm in seinem Wesen noch ähnlicher wäre als die Blumen; jemanden, mit dem er stets seine Gedanken und Ideen austauschen würde. Denn du kannst es dir denken, mein Kind: Manchmal fühlte er sich doch recht einsam in seinem blühenden Paradies.
So sah er in einem seiner Tagträume ein Wesen, das in seinem Inneren so lichtvoll wie der Schöpfer selbst war, das jedoch über eine bestimmte Äußerlichkeit verfügte: einen wunderschönen, klugen Körper aus Fleisch und Blut. So wurde die Idee eines Menschen geboren. Diesen erschuf der Schöpfer zwar nach seinem Ebenbild. Doch verlieh er ihm eine besondere Fähigkeit: nämlich das Leben auf der Erde von seiner physischen Seite erfahren – und es sogar schmecken, riechen und hören zu können. Seine neue ‚Kreation‘ konnte sich über einen bestimmten Lebenszyklus hinweg entwickeln und äußerlich wie innerlich wachsen.
Eigentlich hätte der Schöpfer gerne Urlaub genommen und wäre mal selbst so ein körperliches Wesen geworden, welches durch die Erde wandelt und seine irdischen Erfahrungen macht. Doch er wusste um die Wichtigkeit und Dringlichkeit seiner Aufgabe mit dem Seelengarten, in dem er bis heute verweilt.“
„Was war denn da so wichtig an diesem Seelengarten – außer, dass er ihm eine große Freude schenkte?“, traute ich mich, Oma mit meiner Frage zu unterbrechen. „Ich liebe unseren Garten ja auch sehr. Aber immer nur darin zu spielen, geschweige denn, durchgehend zu arbeiten, erscheint mir doch recht einfallslos. Das Leben bietet doch vie-e-e-e-l mehr zum Entdecken als nur die Blumen und die Gräser im Vorgarten“, sagte ich und bemitleidete den Seelengärtner wegen seines eintönigen Alltags ein wenig.
Meine Großmutter, beseelt vom Erzählen, eilte mit der Erklärung.
„Nun ja, wie du es schon ahnst: Die Blumen im himmlischen Garten waren ja keine einfachen – wobei keine Blume etwas Einfaches ist, meine Kleine. Denn sie ist eine Seelenbotin des Himmels auf Erden“, schmunzelte Oma und streichelte mit ihrer von häufiger Gartenarbeit etwas rau gewordenen Hand über meine purpurrot leuchtende Wange.
Auch wenn mein Herz den Polka-Tanz zum Besten gab, erstarrte mein Körper: Wie gefesselt und kaum atmend lauschte ich jedem Wort.
„Was meinst du denn mit dem Wort ‚Seelenbotin‘? Und warum nannte er den Garten überhaupt ‚Se-e-e-e-elengarten?‘“, fragte ich, stotternd vor Aufregung. Zum Glück erzählte Großmutter gleich weiter.
„Dieser Ort war kein bloßer Blumengarten. Denn der Mensch sollte nicht nur einen Körper geschenkt bekommen, sondern auch eine leuchtende Seele. So war jede einzelne Blume im Garten eine Seelenblume: Denn sie gab einer Seele ein Zuhause. Woher die Seelen selbst kamen, darüber rätseln die Weisen dieser Welt heute noch. Manche meinen, es waren die Sternenschnuppen, die freiwillig die dunkelblauen Tiefen des Kosmos verließen, um das Menschsein zu erfahren. Andere sagen, dass es der Sternenstaub von weitentfernten Galaxien war, die ihre lichtvolle Existenz als Menschenwesen weiterführen wollten. Noch andere erzählen, jede Seele sei ein lichtvolles Teilchen von Schöpfers eigenem Herzen, mit reinster Liebe gefüllt – und im Herzen des Menschen wohnend.“
Ich drückte mein Ohr fest an Omas Brust: Die Vorstellung, darin lebe ein Teil des Schöpfers selbst, machte mich etwas nachdenklich, ja demütig.
„Als der Schöpfer einen Menschen aus einem Körper und einer Seele erschuf, vereinte er in diesem die Erde und den Himmel – und verkörperte darin sich selbst. Seither blühen und leuchten die Seelen tagein, tagaus im goldenen Licht seines magischen Gartens, bis sie eines Tages auf ihre Reise zur Erde und in den menschlichen Körper gehen. Der himmlische Garten selbst war, ist und bleibt der Heimatort aller Seelen. Darum ist die Gartenarbeit so wichtig für den Schöpfer.
Auch wenn die Seelen auf der Erde ihrem eigenen menschlichen Weg folgen, sind sie hier, in ihrem Vaterland, alle miteinander verbunden – eine große Seelenfamilie. Hierher kehren sie am Ende ihres irdischen Lebens zurück. Jedoch nicht mehr als Seelenblumen, sondern als Samen. Diese enthalten nicht nur die jeweilige Seelenessenz: Erwachsene nennen sie ‚Weisheit‘. Auch die gesamten Erfahrungen und Erinnerungen eines Menschen fließen in den Samen hinein. Alles zusammen ergibt eine Geschichte, die für jeden von uns einzigartig ist. Du schreibst gerade ebenfalls deine eigene unsichtbare Geschichte“, lächelte mich meine Großmutter geheimnisvoll an. Ich sprudelte allerdings vor Fragen über:
„Was passiert mit meinem Seelensamen, wenn er in den Seelengarten zurückkehrt?“, brillierte ich mit meiner eigenen Wortkreation.
„Deinen Seelensamen, der sowohl der Anfang, als auch das Ende von allem und ewig während ist, bewahrt der Schöpfer im himmlischen Lichtspeicher seines Seelengartens auf. Und zwar so lange, bis es für deine Seele an der Zeit ist, ihre nächste irdische Reise anzutreten: Heute nennt man so eine Seelenreise ‚Inkarnation‘“, sagte Oma und drückte mir einen liebevollen Kuss auf die Stirn.
Die Erzählpause nutzte ich, um meine Augen zu schließen und mir meine Seelenheimat auf Wolke sieben vorzustellen. Ich sah goldenes Licht, welches aus Schöpfers Herzen wie durch einen umgedrehten Trichter auf eine wunderschöne Blumenwiese floss. Die in allen Regenbogenfarben funkelnde Luft, der süßliche Duft von Vanille und die leisen Harfenklänge machten dieses Phantasie-Bild vom Seelengarten perfekt. Ein vergnügtes Lächeln auf meinem Gesicht verriet der Großmutter den Ort, an dem ich gerade verweilte. In dieser Wonne lullend wollte ich meine Augen gar nicht mehr öffnen. Um mich nicht zu stören, begann die Oma zu flüstern.
„Seit diesem besagten Winter, an dem der Schöpfer das Weiß von Wolke sieben in eine Farbenpracht verwandelte, sät der Seelengärtner fleißig jede Sekunde neue Seelenblumen aus. Zum gegebenen Zeitpunkt verlassen diese in einem ununterbrochen strömenden Fluss des Lebens ihre Heimat. Im Körper angekommen, gibt jede Seelenblume die lichtvolle Seele frei, um neugeborene Menschen zu beseelen. Die Blume selbst legt sich wie ein unsichtbarer Abdruck – eine energetische Spur oder, besser gesagt, Signatur – in das Herz eines Babys hinein.
Auch dein Herz bietet deiner Seelenblume eine neue Heimat. Diesen Ort in dir hat sie übrigens nicht umsonst ausgesucht. Hier kann sie im gleichen ‚Boden‘ wie im Seelengarten, der aus reinster Liebe besteht, wachsen und gedeihen. Deine Seele wärmt sie mit ihrem goldenen Sonnenlicht, welches sie in ihrer Seelenheimat in sich aufgenommen hat. Und das Wasser deiner Gefühle nährt sie anstelle von Sternenlicht auf Wolke sieben.“
Von der Seele hatte ich natürlich schon oft gehört. Ich hatte sogar eine Idee davon, was die Seele sein könnte. Doch der Gedanke, sie würde als eine Blume immer wieder auf die Erde fliegen, erschien mir komisch. ‚Und woher weiß die Seelenblume, wann die richtige Zeit für ihren ‚Erdausflug‘ und welche die richtige Familie für sie ist?‘ Dieser Gedankenwirbel machte mich müde – und meine Augenlieder bleischwer. Wie durch den Nebel hörte ich die Stimme meiner Großmutter in mein Ohr flüstern:
„Wie alles im blühenden Reich des Schöpfers ist auch das auf eine magische Weise einfach, mein Kind …“
Was nach diesem Satz passierte, weiß wohl nur der Schöpfer im Himmel. Für mich fühlte es sich so an, als hätte er mich höchstpersönlich auf Wolke sieben eingeladen. Damit ich seinen einzigartigen Seelengarten mit meinen eigenen wissbegierigen Augen erleben kann. So bin ich seiner Einladung gefolgt und fand mich in Kürze an einem Ort wieder, der sich ‚Seelengarten‘ – und meine Seelenheimat nannte …
Die Rückkehr in den Seelengarten
Plötzlich fühlte ich mich leicht wie eine Feder, während meine Augenlieder immer schwerer wurden. Das Zimmer, meine Oma und die gewohnten Geräusche verblassten immer mehr. Eine unsichtbare Kraft zog mich von alldem weg, was mir vertraut war …
Von jetzt auf gleich umschlungen mich die schweigsame Stille und die unendliche Leere. Dieser ‚Tapetenwechsel‘ machte mir jedoch keine Angst. Ganz im Gegenteil: Es erfüllte mich mit einem heimeligen Gefühl, welches ich bisher nur vom Aufenthalt bei meinen Großeltern kannte. Meine Neugier regte sich in meiner Brust. Denn die Stille an diesem Ort war nicht still, wie die Leere nicht leer war. Alles um mich herum war voller weißem, pulsierendem Licht – und erfüllt vom für meine Augen verborgenen, aber für meine Seele spürbaren Leben.
Ich sah mich um und erkannte direkt zu meinen Füßen einen goldenen Leuchtpfad. Als ich ihn betrat, verwandelte er sich in eine Lichtbrücke, über die ich, mehr schwebend als gehend, zum Ziel meiner Reise gelangte: auf Wolke sieben. Aus dem Nichts tauchte ein Tor auf, das allem Anschein nach die Pforte zum Seelengarten war. Über dem weißen Torbogen, welcher von rotleuchtenden Rosen umwoben war, strahlte mir ein Schriftzug entgegen. Zu meiner Verwunderung konnte ich verstehen, was er bedeutete – auch wenn ich des Lesens noch nicht mächtig war:
Im Feuer der Liebe wird jede Seelenblume geboren. Vom Licht der Liebe genährt blüht sie auf, ehe der Wind der Zeit sie zur Erde weht und ein Jahrhundert später als Samen der Weisheit zurückbringt. Trete hinein in deine Seelenheimat – und staune.
Diese Worte erklangen in meinen Ohren, als hätte sie jemand – ich dachte dabei an den Schöpfer selbst – direkt in meinen Kopf gesetzt.
„Eine Frage führt dich zu mir – eine, auf die deine Oma keine Antwort hatte. Weil sie es vergessen durfte, selbst im Seelengarten gewesen zu sein. Lass mich dir diese Antwort zeigen“, sprach die Stimme nun deutlicher. Sie war mir so vertraut wie die meiner Oma. Ich fühlte mich geborgen und behütet, wie gerade noch auf Großmutters Schoß. So trat ich entschlossen über die lebendige Schwelle, die sich wie eine glühende Schlange immer wieder zu einer neuen Form schlängelte. Was mich hinter dem Tor erwartete, übertraf all meine kindlichen Phantasien.
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Der Seelengarten offenbarte sich mir als eine unendlich weite Blumenwiese, die ich nach und nach immer klarer sehen konnte. Sie war sonnendurchflutet und leuchtete in Farben, die ich bisher nicht kannte – als hätte der Schöpfer tausende Regenbogen ineinanderfließen lassen und mit dem Gold der Sonne und dem Silber des Mondes vermengt. Die wunderschönen Seelenblumen badeten in einem goldenen Lichtmeer, dessen sanfte Wellen sich immer wieder neu aus feinsten Goldpartikeln formten. Auch die Luft war nicht durchsichtig, wie ich sie kannte: Ich atmete das goldene Licht ein und aus, welches mich komplett durchströmte. Ich schmeckte und roch es sogar. Denn die Luft hier war voller süßlichem Blütenstaub.
Alles um mich herum war lebendig und durchdrang meinen Körper, als wäre ich auf eine magische Weise mit diesem Ort verschmolzen. Alles flatterte, vibrierte und bewegte sich um mich herum. Ebenso in mir. Es fühlte sich so an, als flogen Millionen von Schmetterlingen aus mir heraus und kitzelten mich dabei mit ihren Flügeln – von innen und von außen.
„Das sind die Blumenfeen, die sich gerade um dich herum scharen. Oder kennst du einen Blumengarten, der nicht von Feen und Elfen bewohnt wird? Auch sie sind neugierig auf Neues – und gerade auf dich. Denn leibhaftige Kinder sind hier nicht oft zu Besuch“, sprach die freundliche Stimme. Diese nahm langsam Gestalt an, die sich mir in Zeitlupe näherte. ‚Das muss der Seelengärtner sein‘, dachte ich und hörte meine Gedanken gleichzeitig erklingen. So konnte auch ER mich gut hören, ohne dass ich meinen Mund aufzumachen brauchte.
„Ja, der bin ich. Sei lichtvoll willkommen in meinem Reich, das auch deines ist“, sprach der Schöpfer. Dank Blüten- und Goldstaub, der an seiner langen Robe lückenlos haftete, war er für mich nun sichtbar, auch wenn ich ihn nicht wie gewohnt mit meinen Augen sehen konnte. Auch sonst war an diesem Ort nichts wie gewohnt – und doch so vertraut, dass ich mich über nichts mehr wunderte.
Das Antlitz des Seelengärtners erschien auf eine wundersame Weise in meinem Kopf, als wäre er in mir und gleichzeitig überall – sogar in der Luft, die ich einatmete.
„Nun zu deiner Frage, mit der du hergekommen bist: Wie sucht sich die Seele die Familie aus, deren Teil sie als Kind werden möchte?“, sagte der Seelengärtner und lud mich mit einem unsichtbaren Zeichen dazu ein, ihm in die leuchtende, vibrierende und duftende Tiefe des Blumengartens zu folgen.
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Wir gingen nebeneinander her, ohne viel zu reden. Denn Worte werden überflüssig, wenn alles um dich herum zu deiner Seele und deinem Herzen flüstert. Voller tiefer Bewunderung betrachtete ich die faszinierenden Blumen. Welch eine Vielfalt an einem Ort: Ranunkeln, Lilien, Rosen, Astern, Hyazinthen – von Gelb bis Blau-Violett, gestreift, gesprenkelt oder gepunktet … Ein ganzes Leben hätte nicht gereicht, sie alle aufzuzählen und zu beschreiben! Viele Sorten kannte ich von unseren irdischen Gärten. Manch andere waren so außergewöhnlich und bizarr, dass ich sie mir so nicht einmal in meiner regen Phantasie hätte ausmalen können. Und die Aromen, die sie verströmten!
Was die Blumen alle gemeinsam hatten: In der Mitte leuchteten sie so stark, als hätten tausende von Glühwürmchen in jeder von ihnen ihre silbernen Laternen eingeschaltet. Die Blumenfeen schwirrten geschäftig um diese lichtvollen Geschöpfe herum – und pflegten und hegten die Seelenblumen.
Wie lange ich so, fasziniert und verzaubert von der Schönheit des Seelengartens, neben dem Schöpfer her schwebte, wusste ich nicht. Denn die Zeit existierte hier nicht, sodass eine Minute einer Ewigkeit gleich war. Nach einer Weile spürte ich, wie mich eine weiche Wärme umhüllte: Wir näherten uns einem besonderen Teil des Gartens.
Nun standen wir vor einem übergroßen Baum, um den sich die Blumenwiese in gleichmäßigen Kreisen aufbaute. Er strahlte wie der schönste Sonnenaufgang und Sonnenuntergang zusammen. Seine Krone reichte bis zu den Sternen, die ihr silbernes Licht mit ihm teilten. Seine goldenen Wurzeln wuchsen durch Wolke sieben hindurch – bis zur Erde, an die sie ihr kaum sichtbares, weiches Licht abgaben. Eine allumfassende Wärme ging von diesem außergewöhnlichen Baum aus.
Fortsetzung folgt …
Titelbild: © Cosmic Timetraveler / Unsplash
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