Die Russenseele, wie Gott sie schuf

Weit, melancholisch – ja masochistisch soll sie sein, die besagte „russische Seele“. Ist sie das wirklich? Von meiner eigenen russischen Seele fühle ich mich dazu aufgerufen, dieser Frage nachzugehen. Und nehme dieses nebulöse „Phänomen“ unter die Lupe: mit der ganzen Leidenschaft meines Herzens. Verdient hat sie’s, ohne Zweifel …

Was macht die russische Seele aus?

Kann ich sie denn objektiv beurteilen und beschreiben, die russische Seele? Nachdem ich Russland vor 18 Jahren verlassen, aber nicht vergessen habe …

Gewiss kann ich nicht für jede russische Seele sprechen – aber für meine. Denn: Sie ist und bleibt russisch. Sie hat das Land geprägt, das im Laufe seiner Geschichte viel Leid erfahren, viel Wandel mitgemacht hat. Das Land, das einst seiner Seele ganz abschwören musste: dem Gott abschwören, dem tiefen Glauben. Jahrzehnte später wurde die zerfetzte Seele dem Volk Stück für Stück zurückgegeben, samt seinem erschütterten Glauben – erschüttert, aber nicht vernichtet. Lodernd in den Tiefen des Herzens. Wartend hinter dem Vorhand des sozialistischen Wertesystems. Die zerstörten Kirchen wurden wieder aufgebaut. Um die verstörten Seelen zu heilen

Wie ist die russische Seele wirklich?

Ich schließe die Augen und stelle sie mir vor, die russische Seele. Mir kommen viele Adjektive in den Sinn. Bilder wechseln sich: von einem Feuerball bis hin zur Pusteblume … Doch keines davon scheint mir treffend zu sein. Schon bald höre ich eine leise engelhafte Stimme in mein Ohr flüstern:

Sie ist die seltene siebensaitige russische Gitarre. Sie hat dünne und zarte sowie dicke, robuste Saiten. Ihre Töne reichen von tiefen und schwermütigen bis hohen, schrillend jubelnden. Und jeder Besitzer einer russischen Seele spielt darauf seine eigene Melodie.

Ich werde still und lausche meiner …

Imaginär fasse ich jede der sieben Saiten an, lasse sie in meinem Kopf erklingen – und diesen Klang zu einem Lied verschmelzen. Die Noten reihen sich aneinander, von C bis H: Ein Konzert aus Tönen und der dazu passenden Beschreibung entsteht. Eine kleine Symphonie, ihr allein gewidmet: der weiten, melancholischen und überaus musikalischen russischen Seele!

Die Melodie der russischen Seele: Von C bis H, von charismatisch bis heimatverbunden

C wie charismatisch

Die erste Note C ist tief: samtig, gemütlich und eine nachhaltige „Klangspur“ hinterlassend. Sie steht für Charisma – davon hat die russische Seele jede Menge! Es ist die herzliche Gastfreundschaft, die die anfängliche Distanziertheit ablöst. Die ungebändigte Freude, die die tief mit der russischen Seele verwurzelte Melancholie vertreibt. Die mysteriöse Verschlossenheit, die mal zur unergründlichen Herzensoffenheit, mal zur unermesslichen Großzügigkeit wechselt.

D wie deprimiert

Die zweite Note ist ebenso tief, ja tiefsitzend. Der sehnsuchtsvolle Ton von D ist fest in der russischen Seele verankert. Da meldet sich der ihr nachgesagte Schwermut „zu Wort“. Von der unbeschwerten Leichtigkeit zur lähmenden Traurigkeit ist nun nur ein Katzensprung. Von unschuldiger Freude zu tiefen Schuldgefühlen nur ein Schritt. Die Sehnsucht nach etwas Unerreichbarem kommt hoch und zieht die Seele herunter. Nagt an ihr, zerrt an ihren Saiten. Vor allem, wenn dem Russen seine Heimat unerreichbar scheint, kommt Melancholie zu seiner stärksten Ausprägung.

E wie energisch

Doch diese Melancholie scheint bereits mit der dritten Note E zu verfliegen. Liegt in etwa in dem Schwermut der Russenseele die Kraft? Denn wenn sie mal wieder Energie getankt hat, ist keine Höhe unerreichbar, keine Tiefe zu schmerzhaft, kein Hindernis unüberwindbar.

F wie fleißig

So energiegeladen und hell klingend wie die Note F, ist die Seele eines Russen vom Tatendrang getrieben. Hat sie bei einer Sache Feuer gefangen, bleibt sie fleißig dran und gibt diese Sache nicht auf, bis alles erledigt ist – bis zum „Siegesende“, wie es ein Russe zu sagen pflegt.

G wie gläubig

Die Note G ist die pure Euphorie. Freude. Hoffnung. Gar Entrücktheit. Sie ist die Sehnsucht der russischen Seele nach etwas, was ihr jahrzehntelang verboten und entzogen wurde: der tiefe Glaube. Und der Gott, als Hoffnung-Geber und Gewissen-Flüsterer zugleich, als Licht am Ende des Tunnels.

A wie abergläubisch

Neben dem Glauben hat auch der Aberglaube seinen verdienten Platz in der russischen Seelenmelodie. Ernst zu nehmen ist der schrill-hohe Ton der Note A nicht. Doch die unerklärliche Bedeutung des damit verbundenen Aberglaubens ist auch nicht zu unterschätzen. Zu zerbrechlich ist das hart erkämpfte Glück, zu dünn die Schutzschicht der verletzlichen Russenseele. Da kann sie nicht genug auf sich aufpassen – und dafür ist ihr jedes noch so absurde Mittel recht.

H wie heimatverbunden

Auch wenn das Land selbst kein Garant für ein ruhiges, erfülltes Leben ist – was ist ein Russe ohne Heimat? Eben nur ein Russe – aber keiner, der eine russische Seele besitzt. Denn diese ist fest mit der Heimat verwurzelt. Gegen diese robusten Wurzeln ist kein Kraut gewachsen. Und diese Eigenschaft verdient daher die höchste der sieben Noten, die schillerndste und die fröhlichste: H, wie heimatverbunden.

Und ja, die russische Seele hat einen besonderen Drang zur Musik – auch der des Herzens. Vor allem in russischen Volksliedern sind sie alle drin, die Eigenschaften des sagenumworbenen russischen Seelenlebens: von C der tiefsten bis H der höchsten Oktave und zurück.

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Die russische Seele, wie Gott sie schuf: weit, melancholisch und heimatverbunden
Wer die russische Seele verstehen will, muss einen tiefen Blick in die eigene wagen

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